Argumente B. Liehl 2017

Nachdenken über Krieg und Frieden

Eine Bemerkung vorab

Sehr oft, wenn in einem Gespräch über Krieg und Frieden aktuelle oder historische Beispiele angeführt werden, zeigt sich, dass die Diskutanten unterschiedliche Informationen und daher unterschiedliche Sichtweisen haben oder auch einzelne Aspekte sehr unterschiedlich gewichten. Dann werden gerne Experten, Äußerungen von Politikern oder bestimmte Medien zitiert, um den eigenen Standpunkt zu unterstützen. Das Gespräch wendet sich so diesen Informationsquellen zu, ein weiterführendes Verständnis der jeweils anderen Position beim ursprünglichen Thema ist zumindest zweifelhaft. Das ist schade. Denn wenn man nur gelernt hat, dass ein Sachverhalt umstritten ist, ist das nicht viel.

Kann man diese Sackgasse vermeiden?

Weil wir heutzutage unsere Weltsicht zum größten Teil mit Hilfe der Medien gewinnen, muss man sich mit deren Qualitäten beschäftigen. Ständig werden uns viele, divergierende Einschätzungen präsentiert, was verwirrt und unsicher macht. Meinungen werden wie Tatsachen behandelt und Tatsachen wie bloße Meinungen. Was fehlt, ist das Recht auf nicht manipulierte Tatsacheninformationen, ohne welche die ganze Meinungsfreiheit letztlich ein Schwindel ist.

Was oder wem soll man glauben? Warum schenken wir dem einen Glauben, dem anderen nicht?

Vielleicht ist es in dieser Lage das Beste, sich die Unmöglichkeit einzugestehen, eine verlässliche  Beurteilung zu gewinnen. Das ist vielleicht allenfalls in größerem zeitlichem Abstand möglich. Wir teilen diese Ratlosigkeit mit allen. Auch mit den seriösen Experten, die sich wohl umfassender  informieren, vor Fehlurteilen aber auch nicht gefeit sind. Denn die Lüge gehört zur Politik wie die Entscheidung zum Handeln. Wenn aber jemand umstrittene Behauptungen nicht als solche darstellt sondern als zweifelsfreie Wahrheit, dann ist das ein Grund misstrauisch zu werden. Dasselbe gilt, finde ich, für einfache, undifferenzierte Zuschreibungen; zum Beispiel die Bezeichnung „Mainstream-Medien“, meistens in der Verbindung „die lügen sowieso“.

Wenn man sich vergegenwärtigt, wie im alltäglichen Umfeld Äußerungen und Taten sich ereignen, wie mit anderen Worten Menschen und Menschengruppen agieren, wird bei allen Erklärungen politischer Ereignisse Einflüsse des Zufalls und andere unvorhersehbare Einflüsse nicht ausschließen. Deutungen, die die Geschichte wie ein unabänderliches Räderwerk erscheinen lassen, angetrieben von einem Willen, dem keine Fehler unterlaufen, sind deshalb meines Erachtens mit Skepsis zu betrachten. Zweifellos werden z.B. außenpolitische Entscheidungen i.a. sehr viel umsichtiger, umständlicher als alltägliche Beschlüsse getroffen, andererseits sind solche Entscheidungen eingebettet in sehr vielschichtige, unübersichtliche Zusammenhänge, die sie für fehlerhafte Einschätzungen überaus anfällig machen. Ein Beispiel dafür ist etwa der Beginn des ersten Weltkriegs, der letztlich wohl von keinem Akteur entschieden gewollt war.

Im Folgenden sind einige oft zu hörende Thesen aufgeführt und mögliche Einwände dagegen, die auf sehr einfachen Überlegungen beruhen.

 

1. Wenn in einem Konflikt eine Seite militärische Gewalt anwendet, kann die Gegenseite nur feige nachgeben oder muss selbst zu den Waffen greifen.

2. Wenn Menschenrechte irgendwo verletzt werden, besteht eine Pflicht einzugreifen und dies kann man oft nur mit militärischen Mitteln. Wie soll man sonst z.B. Menschen, deren Leben unmittelbar bedroht ist, helfen?

3. Wenn mir einer mein Eigentum wegnehmen will, darf ich mich wehren. Wenn ein Aggressor einem Staat/einer Nation etwas wegnehmen will, darf er/sie sich auch wehren. Einen solcher Akt der Selbstverteidigung erlaubt auch die Charta der UN. Deshalb sind auch die Bundeswehr und die Rüstungsproduktion legitimiert.

4. Es kann der friedlichste Mensch nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Reden und verhandeln, schön und gut, aber manche verstehen eben nur die Sprache der Gewalt.

5. Die Aufwendungen für die Rüstung und das Militär sind zwar enorm, aber ohne Sicherheit ist das Leben nicht lebenswert. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung ist ein elementar menschliches Bedürfnis.

6. So lange Interessen mit Waffengewalt durchgesetzt werden, kann ein einzelner Staat wie die Bundesrepublik nicht auf eine Armee verzichten.

7. Gewaltfrei Methoden der Konfliktbearbeitung sind zu schwach und dauern zu lange. Es gibt eben Situationen, in denen militärische Mittel unverzichtbar sind.

8. Gewaltbereite islamistische Attentäter sind, weil sie bereit sind für ihre Ideologie zu sterben, nur mit Gewaltmitteln aufzuhalten.

9. Der IS fordert nichts von seinen Gegnern. Ihm kommt es nur darauf an, möglichst viele davon zu töten. Hier muss jeder Versuch eines Dialogs, einer diplomatischen, gewaltfreien Konfliktlösung scheitern.

10. Macht basiert auf Gewalt. Daher sind Gewaltmittel für den Machterhalt unverzichtbar.

11. Der Zweck heiligt die Mittel. Daher ist eine militärische Intervention zur Durchsetzung z.B. der Menschenrechte (humanitäre Intervention) gerechtfertigt.

 

zu 1. Wenn in einem Konflikt eine Seite militärische Gewalt anwendet, kann die Gegenseite nur feige nachgeben oder muss selbst zu den Waffen greifen.

Das glauben sehr viele Leute. Und die Überzeugungskraft dieser Ansicht speist sich aus dem Umstand, dass in der Tat z.B. bei einem Banküberfall der Kassierer im Angesicht einer auf ihn gerichteten Pistole besser das Geld herausgibt. (Bemerkenswerterweise sind gleichwohl Kassierer nicht bewaffnet.) Oder wenn z.B. ein Mensch mit einer Maschinenpistole (wie der Norweger Brevik) in eine Menschenmenge schießt, ist es sicher richtig, ihn mit Gewalt am Weiterschießen zu hindern. Diese Beispiele entsprechen aber nur sehr beschränkt dem, was im Krieg geschieht. Krieg ist ungleich komplizierter. Er ist ja ein planmäßig organisierter, vorbereiteter und mit Waffengewalt ausgetragener Akt, an dem mehrere Kollektive beteiligt sind, die bestimmte Interessen durchsetzen wollen. Dabei kommen in aller Regel zahllose Unbeteiligte zu Tode, ganze Landstriche werden verwüstet und auch für die Kämpfer selbst gilt meistens, dass das nicht ihre Interessen sind, die hier durchgesetzt werden sollen. In aller Regel führen die modernen Kriege ja zur Vernichtung fast all dessen, was geschützt werden soll.

Es ist auch falsch, dass es in solchen Konflikten nur zwei Handlungsmöglichkeiten gibt. Solche Konflikte haben gewöhnlich eine lange Vorgeschichte, und es kommt darauf an, vorbeugend aktiv zu werden. Es gibt zahlreiche gewaltfreie Alternativen, die in der Friedensforschung entwickelt wurden, aber leider in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt sind. Ein Beispiel unter vielen sind die Aktivitäten des Komitees vom Internationalen Roten Kreuz; deren Mitarbeiter führen mit allen am Krieg Beteiligten Gespräche und treffen mit ihnen Vereinbarungen. Warum also sollten im Vorfeld eines sich verschärfenden Konflikts keine deeskalierenden Maßnahmen möglich und erfolgreich sein? Natürlich ist der Erfolg solcher Maßnahmen nicht garantiert; aber welche Erfolgsaussichten bieten Kriege? Was können Kriege garantieren außer Tod und Zerstörung?

Woraus dieses Argument vielleicht die stärkste Überzeugungskraft schöpft, ist der Glaube, dass mit militärischer Gewalt Konflikte gelöst werden können und Frieden gestiftet werden kann. Wenn man aber einmal erkannt hat, dass ein bestimmtes Mittel ungeeignet ist, dann sucht und findet man bessere Alternativen. Wenn man z.B. einmal erkannt hat, dass mit einem Kartoffelkloß ein Nagel nicht in die Wand zu schlagen ist, schaut man sich nach anderem um.

Warum aber werden immer wieder Kriege geführt? Diese Frage ist damit nicht beantwortet und eine Antwort müsste neben dem Glauben an die Gewalt, z.B. die Welt- und Wirtschaftsordnung und vieles andere betrachten.

 

zu 2. Wenn Menschenrechte irgendwo verletzt werden, besteht eine Pflicht einzugreifen und dies kann man oft nur mit militärischen Mitteln. Wie soll man sonst z.B. Menschen, deren Leben unmittelbar bedroht ist, helfen?

Dieses Argument wäre überzeugender, wenn nicht die historischen Beispiele (z.B. der Kosovo-Krieg, die internationale Intervention in Libyen 2011) solcher sogenannter humanitärer Interventionen das Argument sehr entkräften würden. Die Menschenrechts-verletzungen werden oftmals gar nicht gestoppt, sondern nehmen eher zu. Der Konflikt verändert seinen Charakter, eine Befriedung oder Stabilität der Lage rückt in die Ferne, weil die Gegenseite ja ebenfalls bewaffnet ist und sich zur Wehr setzt. Der Krieg selbst ist ja ohne Menschenrechtsverletzungen gar nicht möglich. Es soll also der Teufel mit Beelzebub bekämpft werden. Gewöhnlich liegen der Intervention auch noch andere Motive zu Grunde, wenn nicht gar der humanitäre Aspekt lediglich als Vorwand genommen wird.

Hier wird, wie beim vierten Argument, eine einfache Situation vorgestellt, bei der einzelne Akteure sich gegenüber stehen. Diese Situation lässt sich eben nicht Eins zu Eins auf die Internationale Politik übertragen. Hier sind stets vielfältige Interessen im Spiel, Machtfragen, wirtschaftliche Interessen, Abhängigkeiten u.a.. Humanitäre Interventionen sind auch deshalb nicht in der Charta der Vereinten Nationen verankert und völkerrechtlich umstritten.

Sehr viel vernünftiger wäre deshalb eine Strategie, die bereits mit zivilen Mitteln aktiv wird, wenn solche schweren Menschenrechtsverletzungen absehbar sind. Und die gegebenenfalls mit Hilfe des Zivilen Peacekeepings interveniert, einem Konzept, Menschen wirksam ohne Drohung oder Gewalt zu schützen.

 

zu 3. Wenn mir einer mein Eigentum wegnehmen will, darf ich mich wehren. Wenn ein Aggressor einem Staat/einer Nation etwas wegnehmen will, darf er/sie sich auch wehren. Einen solchen Akt der Selbstverteidigung erlaubt auch die Charta der UN. Deshalb sind auch die Bundeswehr und die Rüstungsproduktion legitimiert.

Zweifellos ist es erlaubt, sich gegen Unrecht zu wehren. Fraglich ist aber, mit welchen Mitteln dies am besten geschieht. Die ganze Rechtsgeschichte ist davon geprägt, die Gewaltmittel zu bändigen, ihren Einsatz zu regeln und zurück zu drängen. Warum? Weil, kurz gesagt, Gewalt mehr schadet als nützt und oft nur neue Gewalt hervorbringt. Es gibt daher für die Bundesregierung mittlerweile viele Möglichkeiten, international gegen Rechtsverletzungen mit zivilen Mitteln vorzugehen; das wird ja auch permanent praktiziert.

Wie auf den ziemlich unwahrscheinlichen Fall eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik – und nur davon handelt der Artikel 51 der UN-Charta - am klügsten reagiert werden soll, das ist eine schwierige Frage. Ein Frage, die sich auch nur unter der Annahme vieler weitere Umstände vernünftig behandeln lässt. Mir wäre aber in allen diesen Fällen lieber, wenn es keine Bundeswehr gäbe und die militärische Reaktion deshalb von vornherein ausfiele. Denn die Erwartung, dass durch kriegerische Mittel die Lage sich bessert, ist kurzfristig verfehlt und langfristig mehr als fragwürdig.

 

zu 4. Es kann der friedlichste Mensch nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Reden und verhandeln, schön und gut, aber manche verstehen eben nur die Sprache der Gewalt.

Ist die Gewalt eine Sprache? Und was wird durch die Anwendung von Gewaltmitteln, von Waffen und Bomben dem Angegriffenen mitgeteilt? Ganz gewiss, dass man nicht mit ihm sprechen will.

Auf der individuellen, zwischenmenschlichen Ebene ist die Gewaltanwendung zumeist ein Zeichen von sprachlos machender Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit.

Kriegerische Auseinandersetzungen hingegen finden nach gründlicher Abwägung statt, es geht um Machtansprüche, befürchteten Gesichtsverlust, Gefangensein in einer Eskalationsspirale, Bündnisverpflichtungen, um Interessen und  Kalkulationen; um gut und böse, also um moralische Erwägungen geht es kaum. Diese spielen aber eine prominente Rolle, wenn es um die Rechtfertigung in der Öffentlichkeit geht.

Bemerkenswert ist, dass die Kalkulationen, die beabsichtigten Wirkungen, die den kriegerischen Aktionen zu Grunde liegen, oft nicht aufgehen. Der Krieg entwickelt eine eigene Dynamik und hat Folgen, welche die Akteure oftmals nicht vorausgesehen und nicht gewollt haben. Im Unterschied z.B. zu einer zivilen Intervention lassen sich aber solche Gewaltanwendungen weniger leicht korrigieren. So kommt es, dass Kriege, selbst wenn alle Beteiligten deren Sinnlosigkeit erkannt haben, oft noch lange weitergeführt werden.

 

zu 5. Die Aufwendungen für die Rüstung und das Militär sind zwar enorm, aber ohne Sicherheit ist das Leben nicht lebenswert. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung ist ein elementar menschliches Bedürfnis.

Dieses Argument setzt voraus, dass das Militär das Leben sichert und andere Möglichkeit in Sicherheit zu leben nicht existieren oder unzureichend sind. Zweifellos bedroht das Militär, wenn es eingesetzt wird, Leben und Sicherheit der Angegriffenen. Es ist also, wenn man die Menschheit insgesamt betrachtet, ein völlig ungeeignetes Mittel Sicherheit zu gewährleisten. Da im Zeitalter der Globalisierung auch die Frage nach der Sicherheit nur mehr  global beantwortet werden kann, ist die sogenannte militärische Option überholt.

Diese Antwort klingt gleichwohl realitätsfern angesichts der vielen Kriege und Aufrüstungen, die heutzutage stattfinden. Wenn es aber nicht gelingt, die globalen Bedrohungen wie Klimawandel, Umweltzerstörungen, Kernwaffen u.a. zu bewältigen, wird es auch ein Leben in Sicherheit nicht geben können.

 

zu 6. So lange Interessen mit Waffengewalt durchgesetzt werden, kann ein einzelner Staat wie die Bundesrepublik nicht auf eine Armee verzichten.

Es kommt m.E. tatsächlich darauf an, dieser Ansicht, dass man nämlich zur Durchsetzung von Interessen, selbst wenn diese als existentiell angesehen werden, militärisch agieren darf, die Berechtigung zu entziehen. Schon wenn also ein Staat  damit droht seine Armee einzusetzen, sollte er sich damit in der Weltöffentlichkeit ebenso blamieren, wie wenn er z.B. Kannibalismus nicht länger bestraft. Das gilt freilich von nahezu allen Staaten, die kriegerisch agieren und zu diesem Zweck eine Armee haben. Diese Delegitimierung militärischen Handelns, was nichts anderes als die Abschaffung der Armee bedeutet, erscheint heute völlig weltfremd und utopisch. Gleichwohl gibt es wohl keine andere Möglichkeit, den Krieg, der stets die Tendenz hat sich auszuweiten und beim Einsatz nuklearer Waffen ja die ganze Menschheit auslöschen kann, abzuschaffen.

Es zeigt die Erfahrung und liegt im Wesen der Gewaltanwendung, dass im Verlauf der kriegerischen Handlung der ursprüngliche Zweck, die Durchsetzung irgendwelcher Interessen, in den Hintergrund tritt. Der Zweck, der die Mittel bestimmt, die zu seiner Erreichung notwendig scheinen, wird von den Mitteln überwältigt. Die militärische Gewalt ist also zu allen anderen Schrecknissen auch noch ein ausgesprochen ungeeignetes Instrument. Und es ist wahrscheinlich auch weitgehend Hilf- und Ratlosigkeit, die der allgemeinen Akzeptanz der „ultima ratio“ zu Grunde liegt.

 Die schwierige Frage ist demnach: wie kann man die Entwicklung hin zu einer Ächtung kriegerischer Mittel voran bringen? Die folgenden Ansätze weisen in verschiedene Richtungen, die sich jedoch ergänzen:

* Stärkung und Entwicklung gewaltfreier, ziviler Möglichkeiten.

* Einschränkung der Staatssouveränität, der unkontrollierten, unbegrenzten Macht in außenpolitischen Angelegenheiten und des Nationalismus.

* Stärkung internationaler Vereinigungen, internationaler, gerechter Handelsabkommen, des Völkerrechts, Etablierung z.B. einer europäischen Republik, Einführung eines Weltbürgerrechts.

 

zu 7. Gewaltfrei Methoden der Konfliktbearbeitung sind zu schwach und dauern zu lange. Es gibt eben Situationen, in denen militärische Mittel unverzichtbar sind.

Untersucht man die Kriege der Vergangenheit, so zeigt sich, dass sie sich lange ankündigen und vorhersehbar waren – zumindest erkennt man das im Rückblick. Warum aber sind die Akteure so blind gewesen? Auch das Wort „Kriegsausbruch“ deutet darauf hin, dass der Beginn eines Krieges als etwas Plötzliches, Überraschendes erlebt wird und nicht als Ergebnis einer langen Entwicklung. Stets ist das politische Handeln mit Erwartungen und Einschätzungen verknüpft, die grundsätzlich ungewiss und unsicher sind. Diese Blindheit hinsichtlich der Zukunft ist also nicht zu beseitigen, allenfalls durch Umsicht zu mildern.

Gewaltfreie Konfliktbearbeitung beginnt aber nicht erst, wenn der Konflikt eskaliert und gewaltsam wird. Insofern geht das Argument, dass sie zu lange dauert, an der Sache vorbei. Diese Methode erst dann anzuwenden, wenn sozusagen schon geschossen wird, ist sinnlos. Die konsequent befolgte Einsicht, dass der Einsatz des Militärs nicht in Frage kommt, würde das außenpolitische Handeln ja dauerhaft völlig verändern. Gleichwohl wird auch dieses Handeln nur dann akzeptiert werden und wirksam sein können, wenn es stark, d.h. mit Macht ausgestattet ist. Wie stark gewaltfreies, nichtmilitärisches Handeln sein kann, zeigen alle gewaltfrei beigelegten Konflikte. Und das oft vorgebrachte Argument, dass solche Stärke nur bei nichttotalitären Verhältnissen sich entfaltet, wird durch Beispiele während der Nazi-Herrschaft oder auch auf dem Gebiet des IS widerlegt.

zu 8. Gewaltbereite islamistische Attentäter sind, weil sie bereit sind für ihre Ideologie zu sterben, nur mit Gewaltmitteln aufzuhalten.

Das gilt, scheint mir, zum Beispiel auch von allen Amokläufern. Sofern Einzeltäter oder Terrorgruppen Anschläge verüben, gilt das Strafgesetz und der Einsatz von Gewaltmitteln ist hier bei Beachtung der Verhältnismäßigkeit erlaubt und geboten.

Etwas anderes ist es, dass diese islamistischen Anschläge als Rechtfertigung dafür dienen, in Afghanistan und anderen Ländern Krieg zu führen. Die vielen Ungereimtheiten dieser Begründung sind schon oft dargelegt worden und sollen hier nicht wiederholt werden. Gleichwohl ist es vielleicht nicht umsonst, sich mit der Frage zu befassen, warum dieses Argument so wirksam ist. Es beginnt damit, dass Staatsoberhäupter bei solchen Anschlägen die Kriegsrhetorik benutzen. („Krieg gegen den Terror“ (G. W. Bush); „Frankreich ist im Krieg“ (F. Hollande)). Der Begriff des Kriegs wird diffus. Dies zeigt sich auch z.B. an den Drohnenattacken der US-Regierung; sind das Kriegshandlungen im Sinne des Völkerrechts oder Straftaten? Oder etwas dazwischen? Dieselbe Begriffsverwirrung zeigt sich auch darin, dass die Erklärung der Täter, dass sie Krieg führen gegen die Ungläubigen, gegen den Westen usw., offenbar ernst genommen und akzeptiert wird. Das war übrigens auch schon zu Zeiten der RAF so. Diese Erweiterung des Begriffs verwischt die rechtlichen Sphären und ist so inakzeptabel. Wenn es aber hingenommen wird, dass Krieg herrscht mit einem Gegner, der einen Sprengstoffgürtel am Leib hat, dann bleibt wohl keine andere Möglichkeit.

zu 9. Der IS fordert nichts von seinen Gegnern. Ihm kommt es nur darauf an, möglichst viele davon zu töten. Hier muss jeder Versuch eines Dialogs, einer diplomatischen, gewaltfreien Konfliktlösung scheitern.

Das ist sicher richtig, wenn die Prämisse stimmt. Der sogenannte Islamische Staat existiert aber nicht völlig isoliert. Seine Machthaber betreiben Handel, wollen Anhänger, Kämpfer für ihre Sache gewinnen, müssen sich untereinander einigen und wollen ihre Untertanen möglichst wirksam beherrschen. Sie haben also mit Sicherheit nicht nur das Ziel, möglichst alle Ungläubigen umzubringen.

Es ist bemerkenswert, dass auch totalitäre Machthaber ihre Schandtaten immer gerechtfertigt haben; oft mit einem Ideal, dem kommunistischen Paradies beispielsweise oder der Gewinnung von Lebensraum und der Vernichtung von allem, was dem angeblich Guten, Schönen und dem Frieden entgegen steht. Wahrscheinlich hat auch der Kalif in Raqqa und seine Anhänger ein wunderschönes Ziel. Dass man mit diesen Menschen nicht soll reden können, anerkennt einerseits deren Menschsein nicht an – denn was ist so elementar menschlich wie die Sprache? – und verliert andererseits im Entsetzen über die Grausamkeit dieser Fanatiker die gewöhnlichsten Tatsachen aus den Augen. Dass also zivile Maßnahmen, z.B. Unterbindung des Handels, Verweigerung von Waffenlieferungen, Aufklärung u.ä. keine Wirkung haben, ist überhaupt nicht schlüssig.

zu 10. Macht basiert auf Gewalt. Daher sind Gewaltmittel für den Machterhalt unverzichtbar.

Die These, dass Macht auf Gewalt basiert, wird häufig veranschaulicht durch den Satz: „Die Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ Mir scheint, hier wird Macht mit Zwang verwechselt. Die Regime, die ihre Herrschaft auf Gewalt gründen, sind zumeist wenig mächtig. Dies zeigt sich auch darin, wie schnell sie zusammenbrechen können. Macht, denke ich, enthält immer auch ein Element der Autorität, wird also erworben durch Zustimmung vieler. Insofern ist die obige Voraussetzung angreifbar. Umgekehrt, wenn Gewaltmittel zum Machterhalt nötig sind, dann ist die Institution oder der „Machthaber“ schon geschwächt. Die Befolgung der Befehle und Anordnungen muss erzwungen werden, weil  die Berechtigung, sie zu erteilen, nicht mehr allgemein anerkannt wird. In außenpolitischen Zusammenhängen mögen die Beziehungen zwischen Macht und Gewalt komplizierter sein; so schlicht wie das obige Argument glauben machen will, ist es aber sicher nicht.

 zu 11. Der Zweck heiligt die Mittel. Daher ist eine militärische Intervention zur Durchsetzung z.B. der Menschenrechte (humanitäre Intervention) gerechtfertigt.

Die Ansicht, dass der Zweck die Mittel bestimmt und rechtfertigt, ist sehr verbreitet. Wenn es um Vorgänge des Herstellens geht, ist diese Ansicht auch durchaus zutreffend. Wer einen Holztisch herstellen will, muss einen Baum fällen; wer es warm haben will, muss Feuer machen. Wendet man diese Kategorien aber auf das Handeln zwischen Menschen an, so drehen sich die Beziehungen um. Denn die Beziehungen zwischen den Menschen werden besser durch eine gute Handlung, auch wenn dieselbe um eines bösen Zweckes willen geschehen ist. Und durch eine böse Handlung um eines guten Zweckes willen wird die Menschenwelt erst einmal notwendig böser. Hier heiligt der Zweck also mitnichten alle Mittel.

B. Liehl 2017


In einem alten Buch steht: "Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind." Weiter
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Papst Franziskus am 3.Juni 2019 bei einer Begegnung mit den Teilnehmenden der Vollversammlung der katholischen Hilfswerke für die Ostkirchen (ROACO).

Ähnlich Papst Franziskus auch am 21. Juni 2015: „Manager, Unternehmer die sich Christen nennen und die Waffen herstellen! Das macht mich ein bisschen misstrauisch: Sie behaupten, sie seien Christen!"  Was die Kirchen sonst zur Rüstung sagen: 1. Bischöfe, 2. Diözese, 3. GKKE, 4. Radio, 5. EKM, 6. EKHN, 7. EKD

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